Ich "liebe" Marinella. Sie ist laut, schrill, einzigartig, ohne Ruhe, aber auch tiefgründig, bedacht und - ohne zu übertreiben - visionär. Deshalb folge ich nur zu gerne immer ihren Einladungen, denn diese sind abwechslungsreich, inspirierend und man trifft dabei interessante Menschen. Zudem trinkt man (zu viel und) gut. Denn ihre Weine sind trinkig, saftig, gut eingestellt. Ihre Flaschen sind in nullkommanix leer. Diesmal hat sie zur Vorstellung ihres letzten Buches Around Soil eingeladen. In diesem detailliert verfassten Buch beschreibt sie akribisch die Böden und deren Beschaffenheit, auf denen ihre Reben stehen. Ist was für Freaks. Aber eine wichtige Arbeit.
Essen waren wir im neu (2020) besternten Restaurant La Cru in Romagnano in der Valpantena. Dort kocht der junge Chef Giacomo Sacchetto auf. Der war vorher beim Niederkofler*** und beim Perbellini**. Hat viel von ihnen mitgenommen an Inspiration. Leichte und dennoch komplexe Küche, gut abgestimmt und gewürzt, sehr lokal inspiriert. Giacomo baut sogar einen biodynamischen Garten an vor seinem Restaurant, um noch frischeres Gemüse und Kräuter zu haben. Vor allem die Spaghetti mit Knurrhahn, wildem Spargel und Lakritze waren kriminell gut. Die Aussicht atemberaubend, die Weinkarte dick, mit Fokus auf ausgesuchten, italienischen Tropfen. Hinfahren!
Wir haben nicht nur raffiniert gegessen, sondern auch geil getrunken. Marinella und ihre Töchter Federica und Bianca vereinen unter ihrem (Marken)Nachnamen Camerani drei Tenute: Corte Sant' Alda, Adalia und Podere Castagné. Jede Tenuta schmeckt anders. Eigenständig, divers, unterschiedlich und unterscheidbar. Der neueste und jüngste Wein stammt aus der Tenuta Podere Castagné, einem kleinen Borgo, den die Cameranis zu Zimmern umgebaut haben. Dahinter erstrecken sich 3 Hektar Rebfläche im Wald. Der Valpolicella Superiore Poderecastagne (er muss so heißen, weil Podere Castagné als Namen nicht zulässig ist) ist vegetal-würzig, knackig, pfeffrig, oldschool und dennoch komplex. Ich wette, dass er bei einer Blindprobe für Furore sorgen würde. Damit reiht er sich dort ein, worin sich Camerani seit Jahrzehnten auszeichnet: eigenständige, lebendige, ehrliche und geile Weine.
Abschließend möchte ich (einer meiner Einschätzung nach intelligentesten Winzerinnen Italiens) Rosen streuen: Wenn man Marinella besucht, muss man Zeit und Geduld mitnehmen. Sie kann über Vieles reden, ist tiefsinnig und sensibel, nicht nur im Weinbereich. Sie ist kein einfacher Charakter. Dennoch: geht sie besuchen, kostet ihre Weine, redet mit ihr über die Natur, über Biodynamie, über's Leben. Es werden einige der spannendsten und lehrreichsten Stunden eures Lebens sein.